Vorlage - VO/15/10704/RIV  

 
 
Betreff: Flucht, Vertreibung und Migration
Status:öffentlichVorlage-Art:Beschlussvorlage
Berichterstatter/in:Kulturreferent Unger
Federführend:Kulturreferat   
Beratungsfolge:
Kulturausschuss Entscheidung
05.03.2015 
Öffentliche Sitzung des Kulturausschusses ungeändert beschlossen   

Sachverhalt
Beschlussvorschlag
Anlage/n

 

 

 

Sachverhalt:             

 

 

Flucht, Vertreibung und Migration:

 

Vom 12. Juni bis 12. Juli eröffnen kulturelle Perspektiven offene Blicke auf ein aktuelles Thema. Mit dem Titel "Ich bin dann mal da!" setzen Künstler im ehemaligen Kloster St. Klara in der Ostengasse mit Rauminstallationen Zeichen. Vom 23. Juni bis 4. Juli zeigt Courage gegen Fremdenhass e. V. im Donau-Einkaufszentrum die Fotoausstellung Rettungswiderstand in Dieulefit“. Kinovorstellungen mit Filmgesprächen in der Filmgalerie Leerer Beutel, Lesungen an ungewöhnlichen Orten und Konzerte, unter anderem der Gruppe „Strom & Wasser“ gemeinsam mit Flüchtlingen, gestalten ein vielfältiges Programm mit inspirierenden Impulsen. Dabei soll auch der Bogen zur Vertreibung der Juden (1519) und zum neuerlichen Gedenken an die Shoah, 70 Jahre nach dem 2. Weltkrieg geschlagen werden.

 

Unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Joachim Wolbergs und Bischof Dr. Rudolf Voderholzer veranstaltet die Katholische Jugendfürsorge, die Obhutnahmestellen für unbegleitete Flüchtlinge auf- und ausbaut, in Kooperation mit dem Kulturreferat und basierend auf den Erfahrungen des Kulturprogramms vom 99. Deutschen Katholikentag in Regensburg ein vierwöchiges Kulturprogramm aus Anlass des 70-jährigen Kriegsendes mit Ausstellungen, Vorträgen, Lesungen, Konzerten und Filmmatineen.

 

Der Oratoriumsbau des ehemaligen Klosters St. Klara wird vor dem Umbau zur integrativen Wohnstätte noch einmal als Kunstort genutzt (erstmals bei der Ausstellung zum Katholikentag 2014). In Rauminstallationen eröffnen bildende Künstler in unterschiedlichsten Genres Perspektiven auf das Thema: Sybille Loew aus München in der Installation „Einwanderung“ mit 56 auf Leinwandnessel gestickten Porträts von Migranten. Auf Augenhöhe montiert begegnet der Besucher diesen von Angesicht zu Angesicht. Eine zweite Installation im abgedunkelten Kellerraum bezieht sich auf Lampedusa: Hunderte auf Stofffetzen gestickte Anker leuchten im Schwarzlicht auf. Sie können keinen Grund fassen und strahlen dennoch als Zeichen der Hoffnung. Eduard Winklhofer aus Düsseldorf berührt mit einer Installation aus 39 Koffern und stilisierten Molotowcocktails die Wunde von Emigration und Revolte. Außerdem wird er im Refektorium mit einer Bauminstallation das Thema der Entwurzelung aufgreifen. Das Atelier Arnold und Eichler aus Nürnberg setzt mit vier aus Pressefotos gestalteten Kreuzwegstationen das Leid der Flüchtlinge ausdrucksstark ins Bild. Raoul Kaufer und Peter Engel aus Regensburg setzen sich mit neuen, gerade entstehenden Arbeiten mit dem Thema auseinander. Videoinstallationen der Künstlerinnen Illona Lovas aus Budapest und Notburga Karl aus Bamberg, eine Klanginstallation der Berliner Künstlerin Maxi Obexer sowie fotografische Arbeiten von Nicole Ahland aus Wiesbaden setzen völlig unterschiedliche Akzente. Ebenso die Rauminstallation von Ülküngün aus Stuttgart, die das Erleben einer georgischen Familie in der Zeit des Hoffens auf die Asylanerkennung zu einer vielschichtigen Installation verarbeitet.

Die Fotoausstellung „Rettungswiderstand in Dieulefit“ setzt sich mit der Geschichte vor 70 Jahren auseinander. Sie haben jüdische Kinder versteckt und Pässe gefälscht, Briefe abgefangen, Lebensmittel gehortet oder einfach nur beide Augen zugedrückt. Ihr Widerstand war weniger spektakulär als die militärischen Aktionen der Resistance, aber wirksam. Etwa 1000 bis 1300 Verfolgte sind in der Zeit des Vichy-Regimes und der deutschen Okkupation zwischen 1940 und 1944 von den Menschen in dem französischen Dorf Dieulefit versteckt und gerettet worden. Niemand wurde denunziert. Niemand kam ums Leben. Den stillen Helden aus Dieulefit wird eine Ausstellung gewidmet: Vom 23. Juni bis 4. Juli im Donau-Einkaufszentrum. Zusammengestellt wird die Schau durch den Berliner Verein „Courage gegen Fremdenhass“ mit der Vorsitzenden Anna Tüne, die als Kind einer deutschen Einwandererfamilie in der Nachkriegszeit in Dieulefit aufgewachsen ist. Die Ausstellung, die u.a. Fotos, Dokumente und Aussagen von Zeitzeugen beinhaltet, basiert auf der Forschungsarbeit von Prof. Bernard Delpal, Professor für die Geschichte des Christentums an der Universität Lyon III - Jean Moulin. Delpal lehrt auch an der Universität Genf sowie an der Universität Laval in Québec/Kanada und hat die Jahre unter deutscher Okkupation akribisch aufgearbeitet.

 

Vortrag:

70 Jahre nach der Befreiung stellen Prof. Bernard Delpal, Lyon, und Anna Tüne, Berlin, in einem Vortrag am 22. Juni im Diözesanzentrum Obermünster dieses ganz besondere Beispiel des solidarischen Engagements zur Rettung von Flüchtlingen in Dieulefit vor, mit dem Schwerpunkt auf dem religiös motivierten Widerstand von Katholiken und Protestanten/Hugenotten in der französischen Region.

 

Lesungen:

Maxi Obexer liest aus ihrem Buch „Wenn gefährliche Hunde lachen“. Das Flüchtlingsdrama an Europas Toren schildert die Autorin in ihrem Debütroman weder sensationsheischend noch zu intim, sondern tastend nach Worten für das Unerträgliche - die Geschichte einer jungen Frau auf dem steinigen Weg von Nigeria nach Europa.

Die Berliner Kinderbuchautorin Anja Tuckermann wird an drei Tagen in Regensburger Schulen und im integrativen Zusammenwirken mit Behinderteneinrichtungen aus ihren chern lesen, in denen sie die kulturelle Vielfalt darstellt aber auch die schlimmen und traurigen Seiten der Migration nicht ausklammert und auf kindgerechte Weise von Flüchtlingen, Visabeschränkungen und auseinandergerissenen Familien erzählt.

Der Schauspieler Michael Heuberger liest aus dem Jugendbuch „Krieg“ der dänischen Autorin Jane Teller. Stell dir vor, es ist Krieg - nicht irgendwo weit weg, sondern hier in Europa. Die demokratische Politik ist gescheitert und faschistische Diktaturen haben die Macht übernommen. Wer kann, flieht in den Nahen Osten, wie der 14-jährige Protagonist aus Deutschland. In einem ägyptischen Flüchtlingslager versucht er mit seiner Familie ein neues Leben zu beginnen.

Der Büchner-Preisträger Reinhard Jirgl verarbeitet in seinem Roman „Die Unvollendeten“ die Vertreibung aus dem Sudetenland und dem Berlin des Jahres 2002: Der Chronist deutscher Vergangenheit und Gegenwart erzählt die Geschichte von vier Frauen aus der Kleinstadt Komotau, die nach dem Zweiten Weltkrieg übrig geblieben sind.

Die Schauspielerin Eva Sixt liest aus der Erzählung von Christa Wolf „Nachruf auf Lebende“.  1971 schreibt Christa Wolf erstmals sehr persönlich über ein Thema, das sie ihr Leben lang begleitet: Die dramatische Flucht ihrer Familie aus Landsberg an der Warthe im Januar 1945. Aus der Perspektive einer Fünfzehnjährigen beschreibt sie das Trauma und bietet auch ungeschönt Einblicke in das Leben ihrer Familie.

Auf der Flucht! Sich erinnern heißt für Hellmuth Karasek Geschichten erzählen, Geschichten, die er erlebt hat, die anderen widerfahren sind, die ihn mit Freunden und Feinden, mit Frauen und Kindern, mit Kollegen und Weggefährten aus der Kulturbranche verbinden. Für den Elfjährigen endete die Kindheit nach einem trügerisch glänzenden Weihnachtsfest 1944 mit der Flucht aus der österreichischen Tuchstadt Bielitz an der Grenze zu Galizien. Zusammen mit der hochschwangeren Mutter und drei kleinen Geschwistern ist er unterwegs nach Schlesien, nach Sachsen und schließlich nach Sachsen-Anhalt, wo nach Kriegsende eine neue Zeit der Ängste, Lügen und Behauptungen beginnt. Aus seinem autobiographischen Buch liest er am 26. Juni in der Dreieinigkeitskirche.

 

Konzert:

Am 14. Juni gibt Heinz Ratz mit seiner Band und Flüchtlingen ein Konzert im Leeren Beutel. Die Damen und Herren von Strom & Wasser begeistern nicht nur durch ihre brillante Musik, ihren hohen Gute-Laune Faktor und ihre wilde Mischung aus Politik, Party und anspruchsvollen Texten das Konzertpublikum - auch ihre politischen Aktionen sind spektakulär. Mehr als 100.000 Euro Spendengelderr die Betroffenen konnten Heinz Ratz und seine Band sammeln. 2014 erhielt „Strom & Wasser“ den Liederpreis der Liederbestenliste für einen Song der CD "Freiheit ist ein Paradies".

 

Filmmatineen:

Im Projektmonat wird jeden Sonntag um 11 Uhr in der Filmgalerie im Leeren Beutel eine Filmmatinee zum Thema mit Vorführung und anschließendem Filmgespräch angeboten,

z. B. „Die Piroge“, Moussa Touré, Frankreich, Senegal, Deutschland 2012, 87 min, OmU,

ab 15 J., „Le Havre“, Aki Kaurismäki, Finnland/Frankreich/Deutschland 2011, 93 min., FSK 0. Außerdem ist ein Kurzfilmabend für Jugendliche mit Filmgespräch vorgesehen.

 

Weitere Veranstaltungen sind in Kooperation mit dem Evangelischen Bildungswerk, dem Jazzclub Regensburg, dem Europaeum, der Universität Regensburg (Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften) und weiteren Partnern in Planung.

 

Bei der Bilanzierung der Veranstaltungen zum Katholikentag und aufgrund der aktuellen Situation durch Flucht, Vertreibung und Migration, reifte das Konzept für diese Veranstaltungsreihe. Die Kosten werden auf insgesamt 40.000 Euro veranschlagt, 20.000 Euro kann die Katholische Jugendfürsorge aufbringen, 20.000 Euro sind seitens der Stadt als Mitveranstalterr diese Kulturwochen notwendig. Die Mittel dazu sollen außerplanmäßig aus dem Referatsbudget des Kulturreferats zur Verfügung gestellt werden.


Der Kulturausschuss beschließt, den Veranstalter Katholische Jugendfürsorge, bei der Realisierung der Ausstellungen, Vorträge, Lesungen, Konzerte und Filmmatineen für die Kulturwochen unter dem Motto „Flucht, Vertreibung und Migration“ zu unterstützen.