Vorlage - VO/23/20444/RIV  

 
 
Betreff: Provenienzforschung an den Museen der Stadt Regensburg
Status:öffentlichVorlage-Art:Beschlussvorlage
Berichterstatter/in:Kulturreferent Dersch
Federführend:Kulturreferat   
Beratungsfolge:
Kulturausschuss Entscheidung
14.11.2023 
Öffentliche Sitzung des Kulturausschusses ungeändert beschlossen   

Sachverhalt
Beschlussvorschlag
Anlage/n

Sachverhalt: 

 

 

I. Grundlagen:

 

Provenienzforschung an Museen geht Biographien von Sammlungsobjekten nach. Ihre Kernaufgabe besteht darin, den Eigentumsnachweis zu erbringen.

Diese Forschung kann die einzelnen Stationen von beweglichem Kulturgut in Zeit und Raum nur dann plausibel belegen und nachvollziehbar rekonstruieren, wenn die Rekonstruktion auf Daten und Fakten beruht.

Provenienzuntersuchungen ermöglichen im Umkehrschluss, historische Kontexte visualisiert zu vermitteln, auch deshalb bezeichnet man Provenienzforschung als eine besondere Aufgabe gerade der musealen Arbeit.

Und die Provenienzforschung erschöpft sich nicht am prekären Staat, also an den beiden deutschen Diktaturen, sondern strebt an, die Vorgeschichte aller erworbenen Objekte zu erhellen.

 

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg definiert die Provenienzforschung als eine methodische Erkundung der Ge­schich­te von Kunst­wer­ken und an­de­ren mu­sea­len Ob­jek­ten inklusive Bü­chern und Ar­chi­va­li­en. Der Deutsche Verband der Archäologie e.V. sowie der West- und Süddeutsche Verband für Altertumsforschung e.V. ergänzte in der Zeitschrift „BLiCKpunkt Archäologie“ Nr. 3 von 2022 die Untersuchungsobjekte der Provenienzforschung an Museen um archäologische Funde.

Ferner sollen über die Objektgeschichte hinaus, so das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, auch die Schick­sa­le der Op­fer sowie die Rol­len al­ler an­de­ren Ak­teu­re, zumal in der Erwerbungsgeschichte eines musealen Bestandes, untersucht werden.

 

Mit der „Washingtoner Erklärung“ vom 3. Oktober 1998, der die Bundesregierung, die Länder und die kommunalen Spitzenverbände mit der „Gemeinsamen Erklärung zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz“ im Dezember 1999 folgten, erging eine Empfehlung an die Provenienzforschung: Diese betrifft die Reihenfolge der Aufgaben, die neu zu definieren seien, also der Klärung von Raub- und Beutegut sowie von Entzugsgut angesichts der europäischen Kolonialgeschichte sowie der beiden deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert Vorzug zu geben.

Es handelt sich also um eine Empfehlung (und kein Gesetz), auf deren Grundlage politische Entscheidungsträgerinnen und -träger für Provenienzforschung, beispielsweise im kommunalen Bereich, eine Legitimation schaffen.

 

Gleichwohl wiegt die Hypothek einer politisch bestimmten Forschung, in welcher Form auch immer, schwer. Das betrifft indes sowohl die Geschichtswissenschaft als auch die Jurisprudenz. Und die Politik erkannte inzwischen diese Herausforderungen, so kündigte folglich der bayerische Kunstminister Markus Blume im August 2023 eine Bundesratsinitiative für ein Restitutionsgesetz an, das „überfällig“ ist.

 

 

II. Offene und im Abschluss begriffene Vorgänge

 

1. Abwicklung von Restitutionen auf der Grundlage der Provenienzforschung von

2016 bis 2022

Nachdem die Provenienzforschung an den Museen der Stadt Regensburg 2016 mit einer Planstelle ausgestattet worden war, war diese im Laufe des Jahres 2021 vakant. Im Dezember 2021 wurde die Aufgabe personell neu zugewiesen. Nach einer Einarbeitungszeit wurden die bisherigen Ergebnisse der Forschungen, die bis 2020 erfolgt waren, der politischen Entscheidung zugeleitet: Im Jahr 2023 können drei Restitutionsvorgänge geschlossen werden.

Es handelt sich dabei um eine:

 

 a) Kooperation mit der Freimaurerloge „Drei Schüssel zum aufgehenden Licht e.V.“

     Regensburg

        Abwicklung des Falls „Freimaurerloge“, Objekte K 1933/12-14, 26-27, 33 (vgl. VO/19/15885/44, Pkt. 2, vom 2.10.2019)

 b) Kooperation mit Yad Vashem, Jerusalem/Israel

        Abwicklung des Falls „Damenschirme“, Objekte K 1942/46,1-8 (VO/18/14681/44, Pkt. 2, vom 4.10.2018

 c) Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Regensburg e.V.

        Abwicklung des Falls „Pfandamt, Aktion 3“, 65 Objekte von 1939 und 1942 (vgl. O/18/14681/44, Pkt. 2, vom 4.10.2018).

 

Die folgenden Vorgänge bleiben offen, da der Abschluss von Kooperationspartnern in Berlin bzw. Passau abhängt auf eine einvernehmliche Lösung wird hingearbeitet:

 

 a) Kooperation mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutsverluste Berlin

        Abwicklung des Falls „Einstein“, Objekt K 1936/213 (vgl. VO/18/14681/44, Pkt. 1, vom 4.10.2018)

b) Kooperation mit der Passauer Freimaurerloge „Zu den drei vereinigten Flüssen“

        Abwicklung des Falls „Gründungsurkunde“, Objekte K 1937/19-21.

 

 

2. Revision der Amtsregistratur und der Inventareinträge

 

Unter Punkt I (siehe oben) heißt es, die Kernaufgabe der Provenienzforschung bestehe darin, den Eigentumsnachweis zu erbringen; sie könne nur dann fachgerecht betrieben werden, wenn sie auf Daten und Fakten beruhe.

Folglich gehört zur primären Aufgabe der Provenienzforschung die Revision (Sicherung, Sichtung und Verzeichnung) von Schriftstücken der Amtsregistratur der Museen der Stadt Regensburg. Dem Sachbearbeiter wurde diese Aufgabe im Zeitraum 2022/23 insofern erleichtert, als dass die Überführung der sog. Alten Registratur ins Stadtarchiv, angeordnet vom Kulturreferat im November 2022, gerade dem Bereich der Provenienzforschung übertragen wurde. Erwerbungsakten aus der Altregistratur verbleiben gem. Anordnung der Museen der Stadt Regensburg vom 20.12.2022 bis auf Weiteres im Museum.

 

 a) Sicherung von Nachweisen des Eigentums für die Stadt Regensburg

 

Bei der Sichtung der Amtsregistratur der sog. Altregistratur , die an das Stadtarchiv abgegeben wurde, konnten Erwerbungsnachweise (Eigentumsnachweise der Stadt Regensburg) für 178 Objekte gesichert werden, die bis dato fehlten.

 

 Zwei Beispiele dienen zur Illustration:

 - die bisher vermisste Rechnung für das Objekt K1993/6 für 50.000 DM

 - der bisher fehlende Nachweis für die Schenkung K1987/11 für geschätzt 300.000 DM

 

 b) Berichtigung der Einträge in den Inventarbüchern

 

In der VO/19/15885/44 (vom 2.10.2019, Pkt.2) wurde berichtet, dass im Jahr 1946 Objekte aus dem Museumsbestand an den Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte sowie im Jahr 1948 Objekte aus dem Museum an die Freimaurerloge „Drei Schlüssel zum aufgehenden Licht“ e.V.“ restituiert worden seien.

Diese Objekte sind gleichwohl in den Inventarbüchern des Historischen Museums nicht gestrichen worden; eine Berichtigung erfolgte 2023. Ähnliche Ungereimtheiten in diesen Vermögensnachweisen der Stadt Regensburg betreffen beispielsweise Tauschobjekte:

 

 Zur Illustration ein Beispiel:

1954 erwarb das Museum das Objekt K 1951/4 im Wert von 4.000 DM, zahlte dafür

2.000 DM und die Restsumme wurde in Sachleistung ausgeglichen (mit der Bezeichnung: Tauschobjekte). Es wurden zwei Ölbilder (K 1935/133,1-2) abgegeben, die bei ihrer Erwerbung 790 RM gekostet hatten.

Offen sind hier die Fragen nach der Provenienz der Tauschobjekte zum einen und zum anderen nach dem tatsächlichen Wert des nun im Eigentum der Stadt Regensburg befindlichen Objekts K 1951/4.

 

Fazit ist:

Der Provenienzforschung obliegt sowohl die Revision als auch die Sicherung aller Grundlagen zur Ermittlung von Daten und Fakten also eine besondere Fürsorge für die Schriftgutverwaltung.

 

 

3. Forschung

 

Gemäß dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste sollen Schicksale der Opfer sowie die Rollen aller anderen Akteure, zumal in der Erwerbungsgeschichte eines musealen Bestandes untersucht werden. Hierzu laufen gerade folgenden Forschungen:

 

 a)  r das Regensburger Herbstsymposion 2023: Biographie des ersten Archäologen

  am Historischen Museum, Dr. Richard Eckes (1936 - 1941), Angehöriger der SS,

 b) r einen Aufsatz für eine Fachzeitschrift (betrifft das Objekt K 1940/70):

Was eine Uniform von 1940 erzählen kann? Ein Beitrag zur Kontextualisierung von Beutegut aus dem Polenfeldzug im Historischen Museums der Stadt Regensburg“,

 c) r eine (zunächst) interne Klärung der Rolle vom Amtsleitungspersonal vor und

  nach 1945 werden die Quellen zu Biographien recherchiert,

 d) r die Kenntnis der eigenen Hausgeschichte werden aus externen Archiven Quellen recherchiert und gesammelt (Bundesarchiv Berlin-Freiburg-Koblenz, Bay. Hauptstaatsarchiv, Staatsarchive Amberg und Landshut, Stadtarchiv Regensburg)

 

 

III. Anstehende (drei) Aufgaben

 

1. Fortsetzung der Provenienzforschung gemäßGemeinsame Erklärung“

    also eine bevorzugte Provenienzforschung

 (gem. erstelltem Provenienzforschungskonzept)

 

 a) Klärung des Raubguts aus der NS-Zeit: Der Fall K 1943/8 (vgl. VO/16/12788/44 vom

     2.2.2017, Pkt.4) dauert an,

 b) Klärung weiterer vierzehn Vorgänge und der damit zusammenhängenden Sachverhalte   

    aus dem Bereich nationalsozialistisches Raub- und Beutegut,

c) Klärung von mittelbaren Erwerbungen des Historischen Museums über (bisher) drei

    Regensburger und eine Nürnberger Kunsthandelsfirmen bei der KoKo (der    

    Kommerziellen Koordinierung DDR 1973 - 1990)

 

2. Provenienz in der Präsenzbibliothek des Historischen Museums

 

Zum einen ist die Sicherung des Eigentumsnachweises für Bücher genauso wie für museale Objekte obligatorisch, zum anderen zeigt das Regensburger Beispiel der Bibliothek des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung (im Alten Finanzamt), dass Bücher in öffentlichen Bibliotheken Beutegut aus dem Zweiten Weltkrieg darstellen können. Gleichfalls ist nicht auszuschließen, dass den Regensburger Juden Bücher entzogen worden waren.

Einen expliziten Beleg für die Relevanz der Provenienzforschung in der Bibliothek stellt die Restitution von Büchern aus dem Historischen Museum an die ursprüngliche Bibliothek der Freimaurerloge am 23.2.1948 dar, die am 16.11.1933 im Museum abgeliefert worden war.

 

Zur Illustration ein Beispiel:

Es wurde in der Präsenzbibliothek des Historischen Museums ein Buch festgestellt, das ursprünglich aus Prag 1938 katalogisiert wurde (Sign. REG 610/Dom S385-1+2).

Nach der Revision der alten Registratur wurde Korrespondenz über einen Schriftentausch mit dem Archiv der Stadt Prag (vom Aug. 1938) gesichert und den Bibliotheks­erwerbungsakten hinzugefügt Wert 1938 ca. 20 RM. Die Provenienz ist nun geklärt, das Buch „nicht belastet“.

 

Anstehende Vorgehensweise:

 a) Revision und ggf. Sicherung der Eigentumsnachweise

 b) systematisch Prüfung nach Raubgut (NS-Belastung)

 c) systematisch Prüfung nach Beutegut (NS-Belastung)

 d) systematisch Prüfung nach Entzugsgut (DDR-Belastung)

 

 

3. Provenienz in der Archäologie

 

Auf zwei Bereiche konzentriert sich die Provenienzforschung in der Archäologie gegenwärtig, zum einen auf eventuelle Objektbelastung aus dem kolonialen Kontext (zumal im Bereich der Schenkungen) und zum anderen auf eine eventuelle Objektbelastung als Raub- oder Beutegut in der NS-Zeit (Schenkungen, ggf. Erwerbungen).

 

Zur Illustration ein Beispiel:

2007 schenkte Günther B. aus Burglengenfeld einen Votivkopf einer Frau sowie eine Votivfigur eines Stiers mit dem Hinweis „von Vater aus dem Krieg“. Und der Vater war in Italien stationiert gewesen.

Offene Fragen beziehen sich auf die Authentizität der beiden Figuren als etruskische Funde zum einen und zum anderen auf die Provenienz dieser Objekte.

 

Anstehende Vorgehensweise:

 a) Revision und ggf. Sicherung der Eigentumsnachweise

 b) Raubgut (Kolonialzeit, NS-Zeit)

 c) Beutegut (NS-Zeit)

 

Im Bereich der Archäologie wurde bisher nichts geleistet, da die personellen Ressourcen der Provenienzforschung am Historischen Museum erschöpft sind.

 


Der Kulturausschuss nimmt vom Bericht der Verwaltung zum Stand der Provenienzforschung an den Museen der Stadt Regensburg Kenntnis.